Große Koalition - ja oder nein

Veröffentlicht am 07.12.2013 in Bundespolitik

Vor der Mitgliederbefragung zur Annahme des Koalitionsvertrags trafen sich SPD-Mitglieder des Unterbezirks in Langquaid zur Diskussion.
Unser Bundestagskandidat Harald Unfried nahm Stellung zu einigen Themen im Koalitionsvertrag und gab eine Empfehlung aus.

Bericht der MZ von Walter Dennstedt

Bauchgrimmen der Basis beim Kreuzchen

Harald Unfried von der SPD erklärt in Langquaid den Koalitionsvertrag. Er setzt auf dialektische Opposition in der Regierung – das Prinzip Hoffnung.
Zustimmen oder nicht? Rund 485000 Genossinnen und Genossen sind stimmberechtigt. Foto: Wolf, dpa Zustimmen oder nicht? Rund 485000 Genossinnen und Genossen sind stimmberechtigt.

Von Walter Dennstedt, MZ

Langquaid.
Fast ist das akademische Viertel voll: Kirsten Reiter, SPD-Ortsvereinsvorsitzende, hat SPD-Fähnchen mitgebracht und noch andere Gimmicks, die von der Wahl übriggeblieben sind. Lutscher, Lineale, Bleistifte, Brause, Kugelschreiber, kurzum das, womit man versucht, potenzielle Wähler anzulocken. Einer der gut 30 Genossen, die zum SPD-Infoabend im Huberbräu gekommen sind, hat den „Vorwärts“ dabei“. Die Sonderausgabe des Parteiblatts beinhaltet den Koalitionsvertrag und ist so dick, wie es die Genossen bislang noch nie erlebt haben. Deshalb räumt Harald Unfried, der ehemalige Bundestagskandidat der SPD im Wahlkreis auch ein, dass er den „Vorwärts“ noch lange nicht ganz gelesen hat. Indes, die wichtigsten Passagen darin hat er studiert, den Koalitionsvertrag und er empfiehlt Zustimmung.

Empfehlung mit Einschränkung

Freilich, eine Empfehlung im Wortsinn ist das nicht; Unfried, Reiter und viele andere Genossen, die sich an diesem Abend zu Wort melden, während die „Roten“, also der FC Bayern gegen die Augsburger siegen und im Nebenzimmer der örtliche Faschingsverein probt, sind vorsichtig mit Empfehlungen. Und Unfried, eigentlich unverdächtig der Parteiführung in Nibelungentreue blind zu folgen, macht auch kein Hehl daraus, dass in dem Vertragswerk, das über 180 Seiten umfasst und über das rund 485 000 SPD-Mitglieder jetzt bundesweit abstimmen sollen, so einiges drin ist, das so gar nicht sozialdemokratisch ist. Und so einiges fehlt ganz – die Reichensteuer zum Beispiel.

Unfried indes setzt auf das Prinzip Hoffnung und holt dabei aus: Da muss die erste Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik in den Jahren zwischen 1966 und 1969 herhalten. Im Anschluss ging die SPD gestärkt daraus hervor und stellte mit Willy Brandt erstmals den Bundeskanzler in der BRD. Das ist die positive Erinnerung der SPD, die allerdings fast ein halbes Jahrhundert zurückliegt.

Neuer und vor allem wesentlich schmerzhafter hat sich in die Erinnerung der Genossen die Große Koalition 2005 bis 2009 eingebrannt. Denn da wurde die SPD im Anschluss vom Wähler abgestraft. Und warum? Weil man Politik gegen die eigene Klientel gemacht habe, erklärt Unfried.

Zustimmen oder nicht? Rund 485000 Genossinnen und Genossen sind stimmberechtigt. Foto: Wolf, dpa Harald Unfried erklärt den Koalitionsvertrag. Foto: Dennstedt

Droht nicht die Gefahr der Wiederholung, wenn man nun einem Koalitionsvertrag mit „Mutti“ Merkel zustimmt. Nein, meint Harald Unfried, wobei er dieses Nein auch gleich wieder einschränkt, denn Gefahr drohe nur, wenn man es nicht schaffe, innerhalb der Regierung auch gleichzeitig eine Art Opposition zu sein und Veränderungen im Sinne der Sozialdemokratie zu versuchen. Vor allem dürfe man sich Entscheidungen, die nicht ins Portfolio der SPD passten, erst gar nicht ans Bein binden lassen, so wie dies in den Jahren 2005 bis 2009 geschehen sei: Stichwort Mehrwertsteuererhöhung.

Von Seehofer siegen lernen?

Und hier bemüht Unfried den Begriff der Dialektik. Und er nennt erstmals an diesem Abend den Namen Seehofer: Der und seine CSU verstünden es glänzend, in der Regierung ihre Interessen durchzusetzen. Meist Partikularinteressen, auf Bayern zugeschnitten – aber immerhin, der Erfolg gebe Seehofer recht.

Von Seehofer siegen lernen? Für viele der Genossen ist das denn doch ein starker Tobak, vielleicht zu stark, und vielleicht kommt da auch das Gefühl auf, dass man mit dieser Ansicht auf viel zu viele Unbekannte setze. Denn wer garantiert denn, dass die neue Führungsmannschaft der SPD, die da in Berlin wohl in den Köpfen der Parteiführung bereits festgelegt, an der Basis aber bislang unbekannt ist – wer garantiert, dass zum Beispiel ein Frank Walter Steinmeier oder, um niederbayerischer zu werden, ein Florian Pronold genug Format und Durchsetzungskraft und vor allem Parteiräson haben, diese „Opposition in der Regierung“ zu wagen? Und dann steht da noch im Koalitionsvertrag, wie ein Diskutant einwirft, dass man den Koalitionsfrieden wahre – sprich, Entscheidungen gemeinsam trage.

Aufgeblasen ...

Das ist gute demokratische Gepflogenheit, genauso wie es gute demokratische Gepflogenheit ist, die Bürger zu befragen. Und die haben im September ja entschieden: Es gibt eine Mehrheit links der Mitte.

Zustimmen oder nicht? Rund 485000 Genossinnen und Genossen sind stimmberechtigt. Foto: Wolf, dpa Der „Vorwärts“ mit dem Koalitionsvertrag Foto: Sauer, dpa

Allerdings, und das bemängeln in Langquaid auch einige Genossen, erst nach der Wahl wurde bei einem Parteitag der SPD entschieden, auch mit der Linkspartei, aber erst in ferner Zukunft, zu koalieren. Deshalb gilt die Aussage, dass Rot-rot in Deutschland tabu bleibt.

Verbitterung hört man da aus eines Genossen Worten, wenn er feststellt, dass die SPD viel zu schnell und mit viel zu wehenden Fahnen sich Angela Merkel angedient habe. Da hätte man erst die Grünen vorschicken und verhandeln lassen sollen. Lang und zäh. Und die dann festgezurrten Eckpunkte wären diejenigen Pfeiler gewesen, worauf man das Fundament einer großen Koalition hätte gründen können. Aber, und auch das sagt ein Genosse, ein Florian Pronold, Landesvorsitzender der SPD in Bayern und Niederbayer, also quasi ein Wohlbekannter, der habe sich „wie ein aufgeblähter Gockel“ im Fernsehen präsentiert. Der Genosse der das sagt, erntet keinen Widerspruch, im Gegenteil.

„Die SPD trägt große Verantwortung“. Diesen Satz schickt Unfried seinem Referat voraus. Und er steht wie ein Fanal in Stein gemeißelt über dem Rest der Diskussion, die sich rund zwei Stunden entwickelt. Dass mehr Leute da sind als bei den Wahlversammlungen, freut Unfried und Reiter, dass die Kritik nicht ausbleibt, zeigt, dass die SPD-Mitglieder kritisch sind – auch und insbesondere gegenüber der eigenen Führungsspitze.

Unfrieds Argumentationskette ist kurz: Als Rentenfachmann sehe er einige gute Ansätze. Abzugsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, „endlich“ den Einstieg in die Mütterente, wobei die durch einen Griff in die Reserve der Rentenkasse finanziert werde, mithin in Zeiten nachlassender Konjunktur einfach nicht mehr zu finanzieren sei. Und an diesem Beispiel erklärt Unfried, wie er sich die Dialektik vorstellt: Fehlt das Geld für eine Leistung, also die Mütterrente, (die man nicht mehr zurücknehmen könne), dann müsse geschaut werden, woher man es nehme. Eine Neuverschuldung komme wegen EU-Kriterien nicht in Betracht, bleibe nur die Finanzierung mittels Steuergeldern. Und hier müssten die Kabinettsmitglieder SPD dann behutsam, quasi durch die Hintertür, die Reichensteuer aufs Tapet bringen. Denn müssten die mehr als bislang zahlen, würden über Nacht sechs Milliarden Euro in die Kassen des Bunds geschwemmt.

Hans Wemmers, Versichertenberater aus Abensberg, stimmt ihm da zu, und sagt als einer der ersten in der Diskussion nach dem rund 50-minütigen Vortrag Unfrieds, er werde zustimmen: Denn: „100 Prozent von Nichts ist Nichts“. Nur mit einer Zustimmung habe man den Fuß in der Tür, könne mitgestalten und versuchen, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Da ist er sich mit Unfried einig.

Und analog werden einige Genossen zustimmen, wenngleich ein jeder und eine jede, die sich zu Wort melden, von einem Unbehagen berichtet. Hier fehlt was, dort ist die Aussage zu schwammig, an anderer Stelle widerspricht die Aussage konkret den bisherigen SPD-Forderungen.

Bauchgrimmen. Auch Enttäuschung über den Ausgang der Wahl. Die SPD hat klar verloren hat. Und die schmerzende Erkenntnis, dass man mit 25 Prozent eben nicht so viel durchsetzen kann wie mit über 40 Prozent der Wählerstimmen. Binsenweisheiten, welche die Entscheidung auch nicht befördern.

Oder doch ganz anders? Reinhard Schwikowski, Ortsvereinsvorsitzender und seit kurzem Bürgermeisterkandidat der SPD in Saal, schildert das Dilemma: Irgendwie müsse man zwischen einem „Verrat der Ideale“ und einer „Rettung der Partei“ entscheiden. Besser wäre, so sagt er, besser wäre eine Minderheitsregierung Merkel. Die Alternative dazu: Neuwahlen, mit ungewissem Ausgang für die SPD, mutmaßlich aber keinem berauschenden Ergebnis für die Genossen.

Wemmers argumentiert dagegen. Man müsse die Spielräume nutzen, dialektisch, so wie das Unfried gesagt habe.

Demokratie – na ja ...

Prinzip Hoffnung. Als Willy Brandt am 28. Oktober 1969 den bemerkenswerten Satz: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ sagte und damit der SPD die Meinungshoheit an den Stammtischen der Republik bescherte, da waren die Sozialdemokraten weit von einem Dilemma wie heute entfernt. Und trotzdem, der Satz Brandts hat für viel SPD-ler bis heute nichts von seiner Strahlkraft verloren. Mehr Demokratie wagen? Manch SPD-ler sieht das anders: Abstimmung darüber, ob man mit der CDU/CSU verhandelt, aufgrund dieses Votums dann Verhandlungen und eventuell eine große Koalition. Das wäre Demokratie gewesen. Nun werde der Basis ein Vertrag vorgelegt und – wenn auch subtil – Druck ausgeübt.

Nach knapp zwei Stunden sind die Mitglieder leerdiskutiert. Reiter überreicht Unfried Rotwein, Kaffee, Schokolade und selbst gebackene Plätzchen. Alle sind liebevoll dekoriert – ausschließlich mit schwarzer Schokolade. Rote Zuckerperlen sucht man vergebens, dafür gibt’s viel schwarze, zartbittere Schokoladenkuvertüre.

Irgendwie sind die à la Koalitionsvertrag.

 

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